Segeln in der Karibik
 
SWAN 43

Rasmus

 

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01.05.05

Törn 8 - Poco a Poco

Aus einer noch winterlichen Landschaft – 30cm Schnee im Garten eine Woche vor Ostern – kommst du etwas aufgeregt bei 35° in Caracas an. Es haut dich erstaunlicherweise nicht gleich um, du trotzt der feuchten Hitze. Du beschließt stolz, auf dem Weg zum nationalen Airport keinen Träger zu nehmen, und stellst dich entspannt vor den Schalter von Aeropostal – entspannt deshalb, weil du ja weißt, dass Dieter Flugkarten nach Barcelona bestellt hat. Du stehst noch dazu allein vor dem Schalter. Kann also nicht lange dauern. Nach 40 Minuten weißt du es besser, hältst endlich die Flugkarten in der Hand. Das erste Mal spürst Du den Atem dieses Landes – „poco a poco“. Gut vorbereitet nimmst du in Barcelona ein schwarzes Taxi mit gelben Nummern, handelst den Preis für die Fahrt nach Puerto la Cruz aus und lässt die neue Landschaft auf dich wirken. Du machst die erste Erfahrung, wie Schlaglöcher die Stoßdämpfer eines venezolanischen Taxis bearbeiten. Dieses heftige Aufeinanderprallen von Metallteilen wirst du in den nächsten zwei Wochen noch öfter vernehmen. Du staunst, wenn in der abendlichen Dunkelheit vor Dir Autos auftauchen, die Dir in Europa nur auf dem Schrottplatz begegnen. Wenn die Avenue vor Dir verstopft ist, fährst du einfach über den Mittelstreifen auf die Gegenfahrbahn und dort solange gegen den Strom weiter, bis die Strasse wieder frei ist. „Autofahren in Venezuela ist eben ein bisschen anders als in Europa“, entschuldigt sich Matthias, der uns einige Tage später zur Cueva del Guacharo mitnimmt.

Elisabeth

Nach diesen ersten Eindrücken sind wir richtig erstaunt, dass wir irgendwie doch ohne großen Zeitverlust unser Traumziel, die „Rasmus“ erreichen. Barbara und Dieter begrüßen uns mit einem eiskalten „Polar Ice“. Das Bier ist wirklich arktisch kühl – ein Genuss. Poco a poco, aber nicht unpraktisch, dieses Venezuela.

Essensvorbereitung

Die nächsten Tage geht es dann aufs Wasser. Wir versuchen, gegen den Nordostpassat unter vollen Segeln die Laguna Grande zu erreichen. Bei fast 30 Knoten Wind erbarmt sich Dieter und fällt auf Halbwind ab, um uns in kurzer Zeit in das sichere Mochima zu bringen. Schon der erste Segeltag holt dich von deinem Individualismus herunter und bedeutet die erste Übung in Mannschaftsgeist. Dein hektischer Grundcharakter wird arg durcheinander gebeutelt. Aber zu deinem eigenen Erstaunen scheint sich allmählich „poco a poco“ wie ein behütender Mantel über deine eigene Eilfertigkeit zu legen. Für das einfache Manöver des Ankerholens brauchst du zwar noch etliche Wiederholungen, doch Dieters Toleranz kennt keine Grenzen. Die Abende sind nicht nur abwechslungsreich durch die nuancenreichen Sonnenuntergänge, zu denen Dieter hervorragende, mit venezolanischem Aniversario veredelte „Sundowner“ anbietet, sondern auch anregend durch die zu dieser Tageszeit gerne aufkommenden gemeinsamen Gespräche. Langsam stellt sich eine gewisse innere Ruhe ein.
Sonne

Bevor ich’s vergesse zu erwähnen: Dieter und ich sind nicht allein unterwegs. Uns begleiten vier zauberhafte Frauen. Da ist Dieter’s Barbara, deren kulinarische Zaubereien auf kleinstem Raum unter Deck jeden von uns in gastrisches Entzücken versetzt (GASTRISCH kommt nicht von Gast, sondern von Magen). Sie bringt es fertig, venezolanische und österreichische Cuisine meisterhaft und harmonisch aufeinander abzustimmen. Meine Elisabeth ist bei dieser Reise nicht nur wie sonst überall auf der Welt am Steine sammeln, sondern setzt sich unbarmherzig den Schönheiten der Korallenwelt aus, bis die Rückseite ihrer Beine trotz Sonnenschutzfaktor 40 ein briskes Rot ziert. Unsere erwachsene Tochter Regina zeigt sich vom immer wiederkehrenden Wasserballett der Delphinfamilien entzückt. Ihr merkt man kaum an, dass sie ohne Eltern vermutlich einen freieren Urlaub genossen hätte. Unser aller Freundin Kim aus Schweden kann die skandinavischen Minusgrade nur wettmachen, indem sie die Nächte an Deck verbringt. Dort bestaunt sie immer wieder die völlig verdrehte Lage von Mondsichel und Sternenbildern.

Seglercrew

Die Winde meinen es gut mit uns, sodass wir Laguna Grande nach angenehm entspannender Kreuz schnell erreichen. Nach dem vorösterlichen Treiben in Mochima nimmt uns dieses unvergleichlich schöne rostrote Paradies sofort gefangen. Zwar ist uns weiterhin ein hartnäckiger Amerikaner auf den Ankerfersen, sodass wir die Bucht nicht ganz allein erobern dürfen. Dennoch ist die barfüssige Begehung der roten Erde von Laguna Grande ein einmaliges Erlebnis. Die einzige erbauliche Abwechslung für unsere amerikanische Nachbaryacht ist offenbar neben der ewigen Sorge deren Skippers, dass hoffentlich bei uns der Funk an ist,  die Rettungsaktion Dieter’s für Barbara’s grenadablaues Topkäppi.

Skipper

Nach einer Woche kulinarischen Genusses hat die beste Köchin der Welt nichts mehr im uferlos großen Kühli von Rasmus auf Lager, sodass wir am Ostermontag die Marina in Cumana anlaufen. Der nächste Tag wurde  von Barbara und Dieter klug vorbereitet. Während Barbara das Schiff auf Hochglanz bringt und mit großer Professionalität die Essvorräte am Markt auffüllt, bringt uns Matthias, der vor mehr als 17 Jahren der deutschen Genauigkeit abgeschworen hat und die Leichtigkeit des südamerikanischen Lebens bis heute genießt, zur Höhle der Guacharo’s. Wir fahren einige Stunden zu der in den Kordilleren südöstlich von Cumana gelegenen Tropfsteinhöhle, die 1799 von Indios dem Alexander von Humboldt  gezeigt wurde. Die Schlaglöcher zeigen sich auch im alpinen Raum von beachtlicher Amplitudenstärke, was die Ausschläge der Radkästen betrifft. Kim kann sich nicht ganz mit dieser Art von Fahrkomfort anfreunden und sieht am Ende des Tages auch dort Schlaglöcher, wo gar keine sind. Matthias amüsiert sich köstlich über Kim’s Fata morgana.

Kim

Matthias besitzt übrigens in Santa Fe eine gemütliche Posada, von der aus er für internationale Gäste in ganz Venezuela mehr oder weniger abenteuerliche Exkursionen unternimmt. Wenn man ihn fragt, was für Venezuela typisch ist, braucht er nicht lange. „Die Frauen sind sehr schön“, gluckst er, um im nächsten Augenblick zu relativieren: „Leider sind sie auch sehr faul. Sie sind nur da, um ihre Schönheit zu pflegen“. Wie zur Bestätigung seiner Ansicht bedient uns in der italienischen Trattoria neben der Vogelhöhle der Guacharo’s eine Kellnerin von betörender Anmut mit den schönsten Grübchen der Welt. Matthias schmilzt weg, sein Trinkgeld ist unverschämt hoch. Kim kann sich kaum mehr beherrschen, als Matthias vor der Rückfahrt an der Tankstelle für 72 Liter Supertreibstoff umgerechnet nur 3 Euro zu zahlen hat. Dieser Spritpreis ist wohl einerseits Ausdruck für Venezuela’s soziale Leistung und andererseits der wirtschaftliche Stolz des Landes.

Laguna

Die letzten Tage in der venezolanischen Küstentraumwelt verbringen wir auf den Arapo Islands. Diese Zauberwelt der Natur lässt Kim ernsthaft überlegen, einfach da zu bleiben und Europa links liegen zu lassen. Dieter lächelt tiefgründig zu diesen Überlegungen. Die lauen Abende unter Palmen in den am Markt in Cumana erstandenen Hängematten machen uns den Abschied von Venezuela’s Norden sehr schwer. Nach einem letzten Abend in Puerto la Cruz müssen wir die Heimatmarina von Rasmus, Bahia Redonda, schweren Herzens verlassen. Auch ich, der Hektiker, bin in der Zwischenzeit mit der Gelassenheit Südamerika’s beinahe warm geworden. Ich habe fast Ehrfurcht vor dem geordneten Chaos, dem man auf Strassen, Gehwegen, Märkten begegnet. Irgendwie geht sich immer wieder alles doch noch aus. Diese Lebensart könnte ich zum Abschied fast lieb gewinnen.

Kim

Ganz jedoch läßt uns „poco a poco“ noch nicht los. Die Fahrt zum Flughafen, sie dauert üblicherweise eine halbe Stunde, weitet sich wie inszeniert zu einer eineinhalb stündigen ungewollten Sight Seeing Tour an die Stadtränder von Barcelona aus. Unser gesprächiger Taxidriver erzählt uns beiläufig, dass die Innenstadt wegen eines Mordes völlig gesperrt wäre und er einen Schleichweg zum Flughafen suche. Obwohl er beschwichtigt, nun lernen wir die Schlaglochromatik erst wirklich kennen. Da ist das bisher Erlebte gar nichts dagegen. Meine bescheidene Frage: „How many kilometers to the airport?“ wird mit dem gutmütigsten Gesichtsausdruck der Welt und angesichts eines erneuten Staus vor uns mit stoischer Ruhe beantwortet: „CALMA - POCO   A  POCO“.

Mani
Eigentlich haben wir nicht erwartet, den Flieger pünktlich zu erreichen, von den venezolanischen Behörden außer Landes gelassen zu werden und wohlbehalten zuhause anzukommen. Alles ist auf wunderbare Weise gut gegangen. Wir schauen verzückt und mit Ehrfurcht auf ein Land zurück, das für unsere Freunde für viele Monate des Jahres zu einer Art Gefühlsheimat geworden ist.

Vielen Dank für dieses Erlebnis, Barbara und Dieter.
Elisabeth, Regina und Manfred
April 2005