01.05.05
Törn 8
- Poco a Poco
Aus einer noch
winterlichen Landschaft – 30cm Schnee im Garten eine Woche vor
Ostern – kommst du etwas aufgeregt bei 35° in Caracas an. Es
haut dich erstaunlicherweise nicht gleich um, du trotzt der
feuchten Hitze. Du beschließt stolz, auf dem Weg zum nationalen
Airport keinen Träger zu nehmen, und stellst dich entspannt vor
den Schalter von Aeropostal – entspannt deshalb, weil du ja
weißt, dass Dieter Flugkarten nach Barcelona bestellt hat. Du
stehst noch dazu allein vor dem Schalter. Kann also nicht lange
dauern. Nach 40 Minuten weißt du es besser, hältst endlich die
Flugkarten in der Hand. Das erste Mal spürst Du den Atem dieses
Landes – „poco a poco“. Gut vorbereitet nimmst du in Barcelona
ein schwarzes Taxi mit gelben Nummern, handelst den Preis für
die Fahrt nach Puerto la Cruz aus und lässt die neue Landschaft
auf dich wirken. Du machst die erste Erfahrung, wie Schlaglöcher
die Stoßdämpfer eines venezolanischen Taxis bearbeiten. Dieses
heftige Aufeinanderprallen von Metallteilen wirst du in den
nächsten zwei Wochen noch öfter vernehmen. Du staunst, wenn in
der abendlichen Dunkelheit vor Dir Autos auftauchen, die Dir in
Europa nur auf dem Schrottplatz begegnen. Wenn die Avenue vor
Dir verstopft ist, fährst du einfach über den Mittelstreifen auf
die Gegenfahrbahn und dort solange gegen den Strom weiter, bis
die Strasse wieder frei ist. „Autofahren in Venezuela ist eben
ein bisschen anders als in Europa“, entschuldigt sich Matthias,
der uns einige Tage später zur Cueva del Guacharo mitnimmt.
Nach diesen
ersten Eindrücken sind wir richtig erstaunt, dass wir irgendwie
doch ohne großen Zeitverlust unser Traumziel, die „Rasmus“
erreichen. Barbara und Dieter begrüßen uns mit einem eiskalten
„Polar Ice“. Das Bier ist wirklich arktisch kühl – ein Genuss.
Poco a poco, aber nicht unpraktisch, dieses Venezuela.
Die nächsten
Tage geht es dann aufs Wasser. Wir versuchen, gegen den
Nordostpassat unter vollen Segeln die Laguna Grande zu
erreichen. Bei fast 30 Knoten Wind erbarmt sich Dieter und fällt
auf Halbwind ab, um uns in kurzer Zeit in das sichere Mochima zu
bringen. Schon der erste Segeltag holt dich von deinem
Individualismus herunter und bedeutet die erste Übung in
Mannschaftsgeist. Dein hektischer Grundcharakter wird arg
durcheinander gebeutelt. Aber zu deinem eigenen Erstaunen
scheint sich allmählich „poco a poco“ wie ein behütender Mantel
über deine eigene Eilfertigkeit zu legen. Für das einfache
Manöver des Ankerholens brauchst du zwar noch etliche
Wiederholungen, doch Dieters Toleranz kennt keine Grenzen. Die
Abende sind nicht nur abwechslungsreich durch die nuancenreichen
Sonnenuntergänge, zu denen Dieter hervorragende, mit
venezolanischem Aniversario veredelte „Sundowner“ anbietet,
sondern auch anregend durch die zu dieser Tageszeit gerne
aufkommenden gemeinsamen Gespräche. Langsam stellt sich eine
gewisse innere Ruhe ein.
Bevor ich’s
vergesse zu erwähnen: Dieter und ich sind nicht allein
unterwegs. Uns begleiten vier zauberhafte Frauen. Da ist
Dieter’s Barbara, deren kulinarische Zaubereien auf kleinstem
Raum unter Deck jeden von uns in gastrisches Entzücken versetzt
(GASTRISCH kommt nicht von Gast, sondern von Magen). Sie bringt
es fertig, venezolanische und österreichische Cuisine
meisterhaft und harmonisch aufeinander abzustimmen. Meine
Elisabeth ist bei dieser Reise nicht nur wie sonst überall auf
der Welt am Steine sammeln, sondern setzt sich unbarmherzig den
Schönheiten der Korallenwelt aus, bis die Rückseite ihrer Beine
trotz Sonnenschutzfaktor 40 ein briskes Rot ziert. Unsere
erwachsene Tochter Regina zeigt sich vom immer wiederkehrenden
Wasserballett der Delphinfamilien entzückt. Ihr merkt man kaum
an, dass sie ohne Eltern vermutlich einen freieren Urlaub
genossen hätte. Unser aller Freundin Kim aus Schweden kann die
skandinavischen Minusgrade nur wettmachen, indem sie die Nächte
an Deck verbringt. Dort bestaunt sie immer wieder die völlig
verdrehte Lage von Mondsichel und Sternenbildern.
Die Winde meinen
es gut mit uns, sodass wir Laguna Grande nach angenehm
entspannender Kreuz schnell erreichen. Nach dem vorösterlichen
Treiben in Mochima nimmt uns dieses unvergleichlich schöne
rostrote Paradies sofort gefangen. Zwar ist uns weiterhin ein
hartnäckiger Amerikaner auf den Ankerfersen, sodass wir die
Bucht nicht ganz allein erobern dürfen. Dennoch ist die
barfüssige Begehung der roten Erde von Laguna Grande ein
einmaliges Erlebnis. Die einzige erbauliche Abwechslung für
unsere amerikanische Nachbaryacht ist offenbar neben der ewigen
Sorge deren Skippers, dass hoffentlich bei uns der Funk an ist,
die Rettungsaktion Dieter’s für Barbara’s grenadablaues
Topkäppi.
Nach einer Woche
kulinarischen Genusses hat die beste Köchin der Welt nichts mehr
im uferlos großen Kühli von Rasmus auf Lager, sodass wir am
Ostermontag die Marina in Cumana anlaufen. Der nächste Tag
wurde von Barbara und Dieter klug vorbereitet. Während Barbara
das Schiff auf Hochglanz bringt und mit großer Professionalität
die Essvorräte am Markt auffüllt, bringt uns Matthias, der vor
mehr als 17 Jahren der deutschen Genauigkeit abgeschworen hat
und die Leichtigkeit des südamerikanischen Lebens bis heute
genießt, zur Höhle der Guacharo’s. Wir fahren einige Stunden zu
der in den Kordilleren südöstlich von Cumana gelegenen
Tropfsteinhöhle, die 1799 von Indios dem Alexander von Humboldt
gezeigt wurde. Die Schlaglöcher zeigen sich auch im alpinen Raum
von beachtlicher Amplitudenstärke, was die Ausschläge der
Radkästen betrifft. Kim kann sich nicht ganz mit dieser Art von
Fahrkomfort anfreunden und sieht am Ende des Tages auch dort
Schlaglöcher, wo gar keine sind. Matthias amüsiert sich köstlich
über Kim’s Fata morgana.
Matthias besitzt
übrigens in Santa Fe eine gemütliche Posada, von der aus er für
internationale Gäste in ganz Venezuela mehr oder weniger
abenteuerliche Exkursionen unternimmt. Wenn man ihn fragt, was
für Venezuela typisch ist, braucht er nicht lange. „Die Frauen
sind sehr schön“, gluckst er, um im nächsten Augenblick zu
relativieren: „Leider sind sie auch sehr faul. Sie sind nur da,
um ihre Schönheit zu pflegen“. Wie zur Bestätigung seiner
Ansicht bedient uns in der italienischen Trattoria neben der
Vogelhöhle der Guacharo’s eine Kellnerin von betörender Anmut
mit den schönsten Grübchen der Welt. Matthias schmilzt weg, sein
Trinkgeld ist unverschämt hoch. Kim kann sich kaum mehr
beherrschen, als Matthias vor der Rückfahrt an der Tankstelle
für 72 Liter Supertreibstoff umgerechnet nur 3 Euro zu zahlen
hat. Dieser Spritpreis ist wohl einerseits Ausdruck für
Venezuela’s soziale Leistung und andererseits der
wirtschaftliche Stolz des Landes.
Die letzten Tage
in der venezolanischen Küstentraumwelt verbringen wir auf den
Arapo Islands. Diese Zauberwelt der Natur lässt Kim ernsthaft
überlegen, einfach da zu bleiben und Europa links liegen zu
lassen. Dieter lächelt tiefgründig zu diesen Überlegungen. Die
lauen Abende unter Palmen in den am Markt in Cumana erstandenen
Hängematten machen uns den Abschied von Venezuela’s Norden sehr
schwer. Nach einem letzten Abend in Puerto la Cruz müssen wir
die Heimatmarina von Rasmus, Bahia Redonda, schweren Herzens
verlassen. Auch ich, der Hektiker, bin in der Zwischenzeit mit
der Gelassenheit Südamerika’s beinahe warm geworden. Ich habe
fast Ehrfurcht vor dem geordneten Chaos, dem man auf Strassen,
Gehwegen, Märkten begegnet. Irgendwie geht sich immer wieder
alles doch noch aus. Diese Lebensart könnte ich zum Abschied
fast lieb gewinnen.
Ganz jedoch läßt uns „poco a poco“ noch
nicht los. Die Fahrt zum Flughafen, sie dauert üblicherweise
eine halbe Stunde, weitet sich wie inszeniert zu einer
eineinhalb stündigen ungewollten Sight Seeing Tour an die
Stadtränder von Barcelona aus. Unser gesprächiger Taxidriver
erzählt uns beiläufig, dass die Innenstadt wegen eines Mordes
völlig gesperrt wäre und er einen Schleichweg zum Flughafen
suche. Obwohl er beschwichtigt, nun lernen wir die
Schlaglochromatik erst wirklich kennen. Da ist das bisher
Erlebte gar nichts dagegen. Meine bescheidene Frage: „How many
kilometers to the airport?“ wird mit dem gutmütigsten
Gesichtsausdruck der Welt und angesichts eines erneuten Staus
vor uns mit stoischer Ruhe beantwortet: „CALMA - POCO A POCO“.
Eigentlich haben wir nicht erwartet, den Flieger pünktlich zu
erreichen, von den venezolanischen Behörden außer Landes
gelassen zu werden und wohlbehalten zuhause anzukommen. Alles
ist auf wunderbare Weise gut gegangen. Wir schauen verzückt und
mit Ehrfurcht auf ein Land zurück, das für unsere Freunde für
viele Monate des Jahres zu einer Art Gefühlsheimat geworden ist.
Vielen Dank für dieses Erlebnis, Barbara
und Dieter.
Elisabeth, Regina und Manfred
April 2005 |