22.01.10
Törn 2
- Betty und der Mann mit dem Pferdeschwanz
Vor vielen, vielen Jahren ist Bettys Mann
zur See gefahren. Ferne Länder hat er bereist, die Weite der
Ozeane erlebt, von fremden Gerüchen und Speisen gekostet. Das
Gefühl der Freiheit war beinahe unendlich und ganz in der Ferne,
am Horizont, hat immer wieder ein neues und spannendes Erlebnis
auf ihn gewartet. Doch noch ein bisschen weiter, nicht am,
sondern hinter dem Horizont und wohl auch in seinem Kopf war der
Anker, der ruhige Ort, an dem er sich von den Strapazen seiner
Reisen erholen konnte: die Heimat.
Eines schönen Tages haben sich Betty und
ihr Mann in dieser Heimat kennen gelernt und so groß war ihre
Liebe, dass sie schon bald heirateten und ein gemeinsames Heim
gründeten, in das ihnen ein kleiner Sohn geboren wurde. Bettys
Mann wurde sesshaft – nach einigen Jahren für Bettys Geschmack
fast zu sesshaft…
Nun hatte sie den Ruf der Ferne in den
Ohren. Da sie schon von Kindesbeinen an sehr musikalisch war
vereinte sie die unterschiedlichen Töne und Klänge, die von all
den fremden Städten und Länder zu Ihr getragen wurden, sehr bald
zu einer ganz wunderbaren Melodie die anschwoll und wieder
leiser wurde aber nie verstummte und offensichtlich nur ein Ziel
hatte: Betty in die weite Welt hinaus zu locken.
Betty brachte Chöre zum Singen und
Orchester zum Spielen aber leider, leider war Bettys Mann auf
einem Ohr fast taub geworden und so konnte er diesen lockenden
Klag der Ferne nicht mehr in der selben Intensität wahrnehmen
wie sie selber. Der heimatliche Bass schien trotz mancher, fast
heimlicher Ausflüge in die Höhen der Fremde, für Bettys Mann
immer am Beständigsten zu spielen.
Seit einigen Jahren schon spielte in Bettys
Orchester die helle Melodie der Karibik und das sanfte Rauschen
der Wellen zu den leichten Bewegungen der Rasmus. Zu erst ganz
leise und wohl irgendwie im Hintergrund begann sich dieses
sonnige Trio zu einer auffälligen und immer wieder genährten
Leitmelodie zu entwickeln.
Und irgendwann hatte Betty fast keine Wahl
mehr und als es dann so weit war konnten sie weder Bürokratie
noch liebe Traditionen der Heimat und schon gar nicht der alles
anhaltende Schnee aufhalten! Und so ist es ihr gelungen zuerst
ganz leicht und easy und dann unter dem Schutz königlicher
Schwingen gemeinsam mit der Sonne in den Westen zu ziehen.
Auf dieser langen, langen Reise widerstand
Betty den lauten Geschichten eines sehr großen Mannes, konnte
sich schwer aber doch, aus seinen Märchen befreien und war
glücklich an ihrer anderen Seite den weniger redseligen Mann mit
einem Pferdeschwanz zu entdecken.
Bald schon erkannten Betty und der Mann mit
dem Pferdeschwanz die erstaunliche Ähnlichkeit ihrer Ziele und
Wünsche für den Ort am Ende dieser langen Reise. Sie waren zwar
nicht die selben, aber doch soooo ähnlich.
Und siehe da, letztendlich früher als
gedacht waren sie da: die Karibik, die Wellen und die Rasmus.
Betty und der Mann mit dem Pferdeschwanz
haben sich in alles wunderbar eingelebt – sie haben den viel
langsameren Gang der Karibik ebenso schnell akzeptiert wie die
unterschiedliche Intensität der Wellen und bald schon scheint es
als wären ihnen sowohl die Tücken als auch die
Liebenswürdigkeiten der alten Rasmus und ihrer Crew seit langem
vertraut.
Betty, der Mann mit dem Pferdeschwanz,
Rasmus und ihre Crew streifen nun also als umtriebiges Quintett
durch die Karibik. Sie schwimmen, segeln, die Zehen im Sand,
lassen sie die Sonne an einsamen Stränden untergehen,
schnorcheln, kochen. Ein Ausflug führt sie, fast wie von einer
Zeitmaschine um Jahrzehnte zurückversetzt, zu den letzten
Schiffsbauern der hölzernen Carriacou Sloop, einem Arbeits- und
Segelschiff deren Zeit schon längst vergangen, deren Stern aber
hoffentlich noch lange nicht untergegangen ist.
Und immer wieder, fast schon wie ein
altbekannter Refrain, kehren sie zurück zu Zuckerrohr, Melasse
und Rum. Dem Trio, über das der Mann mit dem Pferdeschwanz so
viel weiß und noch so viel erfahren will. Sein Wissen an dieser
karibischen Tradition erweckt heftigen Widerspruch bei einem aus
der gemeinsamen Heimat hierher Zugezogenen bei den, mit dem
Können der Destillation vertrauten aber Bewunderung. Betty
spricht Englisch, der Mann mit dem Pferdeschwanz kennt sich aus
– so die anerkennende Zusammenfassung.
Nur die weihnachtlichen Klänge, die sich in
die karibische Melodie mischen, sind für Betty nicht das, was
sie in der Heimat sind. Ihr Gefühl und ihre Gedanken sind unter
der warmen Sonne mit den Gerüchen der Früchte, dem Geschmack der
Gewürze, den Pflanzen und Tieren der Inseln beschäftigt – sie
fällt in den Rhythmus der Menschen aber nicht in deren
Weihnachtsstimmung.
Als dann der volle Mond am Himmel von
Grenada stand, umspielt und umkränzt von einem bunten und
glitzernden, großen Feuerwerk da erkannte Betty im Mann mit dem
Pferdeschwanz ihren Mann, den schwerhörigen, sesshaften
Seefahrer. Verwirrung. Verwechslung. Wie groß war die Freude der
beiden das neue Jahr gemeinsam und in der Fremde zu beginnen!
Für Betty und ihren Mann mit dem
Pferdeschwanz hat ein großes Steel Pan Orchester die Klänge und
Melodien, die Betty schon so lange begleiten, laut und
eindringlich gespielt, so dass selbst der Mann mit dem
Pferdeschwanz sich ihnen nicht entziehen konnte. Und nur für den
Fall, dass die Musik in seinen Ohren wieder verklingt und sich
die beständigen Bässe der Heimat durchsetzen steckt die Insel
Grenada (als Ohrring) fest in seinem Ohr!
Ja, und wenn Betty und ihr Mann mit dem
Pferdeschwanz noch nicht gestorben sind, dann leben sie noch
heute und träumen hoffentlich von fremden Ländern und der einen
oder andern Holzarbeit auf der Rasmus!
Fotos: |
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